Von wegen Diesel-Fahr.Verbot.
Von wegen Diesel-Fahr.Verbot.
Alarmierende Feinstaub-Studie „Der Diesel ist nicht das Problem“
Interview von Stefan Reccius
13. März 2019
Dieselkrise: Alarmierende Feinstaub-Studie Quelle: dpa
Autos und Lastwagen fahren an der Messstation für Feinstaub und Stickoxide am Stuttgarter Neckartor vorbei.
Bild: dpa
Bislang stritten Gegner und Verfechter von Fahrverboten darum, wie schädlich Stickoxide sind. Dabei ist das eigentliche Problem offenbar Feinstaub – und die gesundheitlichen Folgen schlimmer als angenommen.
Das Corpus Delicti mit dem Kürzel PM2,5 lässt sich allenfalls unter dem Mikroskop erkennen, doch offenbar haben die winzigen Feinstaubpartikel eine noch viel größere Wirkung, als bislang angenommen. Das berichten zwei Mainzer Wissenschaftler im „European Heart Journal“. Nach gängigen Erkenntnissen schadet der Feinstaub in der Luft der Gesundheit. Nur wie stark? Und was ist mit Stickoxiden, dem Anlass für Fahrverbote in deutschen Städten?
Bislang galt eine Studie mit dem Titel „Global Burden of Disease“ aus dem Jahr 2015 als Gradmesser. Demnach verkürzt eine Feinstaubkonzentration von mehr als zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft – so die Maßgabe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – die durchschnittliche Lebenserwartung um rund ein Jahr. Nun zeigen mehrere Forscher um den Kardiologen Thomas Münzel von der Universitätsklinik Mainz und den Atmosphärenforscher Jos Lelieveld vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie: Die Folgen sind offenbar schlimmer.
Herr Münzel, Ihren Angaben zufolge sterben Europäer wegen Feinstaub-verschmutzter Luft im Durchschnitt mehr als zwei Jahre früher, als wenn die Luftqualität den WHO-Vorgaben entspräche. Wie kommen Sie darauf?
Thomas Münzel: Wir haben mit den gleichen Daten wie die Kollegen in „Global Burden of Disease“ gearbeitet, aber mit deutlich mehr Kohortenstudien, unter anderem aus China. Dadurch haben wir eine wesentlich bessere Datenbasis. Wir zeigen, dass auch bei höherer Feinstaub-Belastung gilt: Je höher die Feinstaubkonzentration in der Atemluft, desto wahrscheinlicher eine Herz-Kreislauf-Erkrankung.
Feinstaub-Studie: Thomas Münzel und Jos Lelieveld
Die federführenden Autoren der Feinstaub-Studie: Thomas Münzel (li.) leitet das Kardiologische Zentrum der Universitätsklinik Mainz, Jos Lelieveld arbeitet am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie.
Bild: WirtschaftsWoche
Kritiker bemängeln die fehlende Kausalität, dass also einzelne Todesfälle nicht zweifelsfrei auf Feinstaub zurückzuführen seien, sondern auch andere Ursachen haben können.
Wichtig zu wissen ist: Wir berücksichtigen die klassischen Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, also Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes und hohes Cholesterin. Diese tauchen seit Jahrzehnten in den medizinischen Leitlinien auf, nicht aber Feinstaub. Wir zeigen jedoch, dass das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung auch durch Feinstaub signifikant steigt.
Was genau richtet Feinstaub im Körper an?
Wenn der Mensch Feinstaubpartikel einatmet, gehen die in die Lunge. Größere Teilchen können dort Entzündungen auslösen. Kleinere Teilchen unter 2,5 Mikrometer und Ultrafeinstaub gelangen durchs Lungenepithel weiter in die Blutbahn und werden von den Gefäßen aufgenommen. Dort können sie Entzündungen und Gefäßverkalkungen auslösen. Es ist der gleiche Mechanismus wie bei den anerkannten Risikofaktoren. Die Folgen sind vor allem Herzerkrankungen, aber auch Bluthochdruck, Diabetes und Schlaganfälle.
Bislang stritten Fachleute um einen anderen Luftschadstoff: Stickstoffdioxid (NO2). Läuft seit Monaten, ja Jahren, die falsche Debatte?
Alle glauben, dass NO2 das Problem ist, aber wir zeigen, dass Feinstaub das eigentliche Problem ist. NO2 ist primär ein Reizgas, das chronische Lungenentzündungen herausbildet. In Experimenten hat sich gezeigt, dass Feinstaubfilter, wie sie in modernen Dieselautos verbaut sind, die negativen Folgen von Dieselabgasen aufheben. So hat Stickstoffdioxid keine direkt toxischen Wirkungen und beeinträchtigt nicht die Gefäßfunktionen.
Ist der Diesel also gar nicht so schlimm, wie oft behauptet?
Man kann daraus ableiten, dass die Diskussion am falschen Antrieb ansetzt und eher der Benziner das Problem ist. Allerdings ist die größte Feinstaubquelle mit 45 Prozent die Landwirtschaft und zu 20 Prozent der Transportverkehr.
Feinstaub: Lungenärzte erwarten Verschärfung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid
Feinstaub Lungenärzte erwarten Verschärfung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid
Die Feinstaub-Debatte könnte demnächst neuen Zündstoff erhalten: Lungenärzte gehen davon aus, dass die WTO bald empfiehlt, die Grenzwerte zu senken.
Ihr Kollege Lelieveld sagt deshalb: „Fahrverbote bringen nichts“.
Ich glaube das auch. Von allen Pkw auf deutschen Straßen haben ja wiederum nur etwas mehr als ein Drittel Dieselmotoren. Wovon reden wir dann noch? Auf fossile Energieträger zu verzichten und Kohlekraftwerke abzuschalten, das verspricht langfristig positive Effekte.
Täuscht der Eindruck, oder wird der Streit hierzulande hitziger geführt als anderswo?
Auf jeden Fall. Andere Europäer freuen sich, dass sie günstig an Dieselautos kommen. Der aktivistische Hype um Stickstoffdioxid geht am Problem vorbei. Unsere Studie wird hoffentlich dazu beitragen, das Bewusstsein für Feinstaub zu stärken.
Was muss passieren?
Der Grenzwert muss in Europa dramatisch sinken. In den USA liegt der Grenzwert bei zwölf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Die EU will bis 2025 von 25 auf 20 Mikrogramm runter. Damit erreicht man gar nichts, um die Anwohner vor Gesundheitsschäden zu schützen. Eine Verringerung von 25 auf zwölf hingegen könnte 1,5 Millionen frühzeitige Todesfälle pro Jahr verhindern.
Allerdings schränken Sie selbst in der Studie ein, diese Hochrechnungen vorzeitiger Todesfälle seien „mit erheblicher Vorsicht“ zu betrachten.
Wir weisen darauf hin, dass die Fehlertoleranz bei rund 50 Prozent liegt. Gleichwohl hat uns der Autor der ursprünglichen Studie bestätigt, dass die ermittelte Zahl von knapp 800.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgrund der Feinstaubbelastung plausibel ist.
Stefan Reccius
Stefan Reccius
Interview von Stefan Reccius
13. März 2019
Dieselkrise: Alarmierende Feinstaub-Studie Quelle: dpa
Autos und Lastwagen fahren an der Messstation für Feinstaub und Stickoxide am Stuttgarter Neckartor vorbei.
Bild: dpa
Bislang stritten Gegner und Verfechter von Fahrverboten darum, wie schädlich Stickoxide sind. Dabei ist das eigentliche Problem offenbar Feinstaub – und die gesundheitlichen Folgen schlimmer als angenommen.
Das Corpus Delicti mit dem Kürzel PM2,5 lässt sich allenfalls unter dem Mikroskop erkennen, doch offenbar haben die winzigen Feinstaubpartikel eine noch viel größere Wirkung, als bislang angenommen. Das berichten zwei Mainzer Wissenschaftler im „European Heart Journal“. Nach gängigen Erkenntnissen schadet der Feinstaub in der Luft der Gesundheit. Nur wie stark? Und was ist mit Stickoxiden, dem Anlass für Fahrverbote in deutschen Städten?
Bislang galt eine Studie mit dem Titel „Global Burden of Disease“ aus dem Jahr 2015 als Gradmesser. Demnach verkürzt eine Feinstaubkonzentration von mehr als zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft – so die Maßgabe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – die durchschnittliche Lebenserwartung um rund ein Jahr. Nun zeigen mehrere Forscher um den Kardiologen Thomas Münzel von der Universitätsklinik Mainz und den Atmosphärenforscher Jos Lelieveld vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie: Die Folgen sind offenbar schlimmer.
Herr Münzel, Ihren Angaben zufolge sterben Europäer wegen Feinstaub-verschmutzter Luft im Durchschnitt mehr als zwei Jahre früher, als wenn die Luftqualität den WHO-Vorgaben entspräche. Wie kommen Sie darauf?
Thomas Münzel: Wir haben mit den gleichen Daten wie die Kollegen in „Global Burden of Disease“ gearbeitet, aber mit deutlich mehr Kohortenstudien, unter anderem aus China. Dadurch haben wir eine wesentlich bessere Datenbasis. Wir zeigen, dass auch bei höherer Feinstaub-Belastung gilt: Je höher die Feinstaubkonzentration in der Atemluft, desto wahrscheinlicher eine Herz-Kreislauf-Erkrankung.
Feinstaub-Studie: Thomas Münzel und Jos Lelieveld
Die federführenden Autoren der Feinstaub-Studie: Thomas Münzel (li.) leitet das Kardiologische Zentrum der Universitätsklinik Mainz, Jos Lelieveld arbeitet am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie.
Bild: WirtschaftsWoche
Kritiker bemängeln die fehlende Kausalität, dass also einzelne Todesfälle nicht zweifelsfrei auf Feinstaub zurückzuführen seien, sondern auch andere Ursachen haben können.
Wichtig zu wissen ist: Wir berücksichtigen die klassischen Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, also Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes und hohes Cholesterin. Diese tauchen seit Jahrzehnten in den medizinischen Leitlinien auf, nicht aber Feinstaub. Wir zeigen jedoch, dass das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung auch durch Feinstaub signifikant steigt.
Was genau richtet Feinstaub im Körper an?
Wenn der Mensch Feinstaubpartikel einatmet, gehen die in die Lunge. Größere Teilchen können dort Entzündungen auslösen. Kleinere Teilchen unter 2,5 Mikrometer und Ultrafeinstaub gelangen durchs Lungenepithel weiter in die Blutbahn und werden von den Gefäßen aufgenommen. Dort können sie Entzündungen und Gefäßverkalkungen auslösen. Es ist der gleiche Mechanismus wie bei den anerkannten Risikofaktoren. Die Folgen sind vor allem Herzerkrankungen, aber auch Bluthochdruck, Diabetes und Schlaganfälle.
Bislang stritten Fachleute um einen anderen Luftschadstoff: Stickstoffdioxid (NO2). Läuft seit Monaten, ja Jahren, die falsche Debatte?
Alle glauben, dass NO2 das Problem ist, aber wir zeigen, dass Feinstaub das eigentliche Problem ist. NO2 ist primär ein Reizgas, das chronische Lungenentzündungen herausbildet. In Experimenten hat sich gezeigt, dass Feinstaubfilter, wie sie in modernen Dieselautos verbaut sind, die negativen Folgen von Dieselabgasen aufheben. So hat Stickstoffdioxid keine direkt toxischen Wirkungen und beeinträchtigt nicht die Gefäßfunktionen.
Ist der Diesel also gar nicht so schlimm, wie oft behauptet?
Man kann daraus ableiten, dass die Diskussion am falschen Antrieb ansetzt und eher der Benziner das Problem ist. Allerdings ist die größte Feinstaubquelle mit 45 Prozent die Landwirtschaft und zu 20 Prozent der Transportverkehr.
Feinstaub: Lungenärzte erwarten Verschärfung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid
Feinstaub Lungenärzte erwarten Verschärfung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid
Die Feinstaub-Debatte könnte demnächst neuen Zündstoff erhalten: Lungenärzte gehen davon aus, dass die WTO bald empfiehlt, die Grenzwerte zu senken.
Ihr Kollege Lelieveld sagt deshalb: „Fahrverbote bringen nichts“.
Ich glaube das auch. Von allen Pkw auf deutschen Straßen haben ja wiederum nur etwas mehr als ein Drittel Dieselmotoren. Wovon reden wir dann noch? Auf fossile Energieträger zu verzichten und Kohlekraftwerke abzuschalten, das verspricht langfristig positive Effekte.
Täuscht der Eindruck, oder wird der Streit hierzulande hitziger geführt als anderswo?
Auf jeden Fall. Andere Europäer freuen sich, dass sie günstig an Dieselautos kommen. Der aktivistische Hype um Stickstoffdioxid geht am Problem vorbei. Unsere Studie wird hoffentlich dazu beitragen, das Bewusstsein für Feinstaub zu stärken.
Was muss passieren?
Der Grenzwert muss in Europa dramatisch sinken. In den USA liegt der Grenzwert bei zwölf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Die EU will bis 2025 von 25 auf 20 Mikrogramm runter. Damit erreicht man gar nichts, um die Anwohner vor Gesundheitsschäden zu schützen. Eine Verringerung von 25 auf zwölf hingegen könnte 1,5 Millionen frühzeitige Todesfälle pro Jahr verhindern.
Allerdings schränken Sie selbst in der Studie ein, diese Hochrechnungen vorzeitiger Todesfälle seien „mit erheblicher Vorsicht“ zu betrachten.
Wir weisen darauf hin, dass die Fehlertoleranz bei rund 50 Prozent liegt. Gleichwohl hat uns der Autor der ursprünglichen Studie bestätigt, dass die ermittelte Zahl von knapp 800.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgrund der Feinstaubbelastung plausibel ist.
Stefan Reccius
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